KI: Wer organisiert hier was und wen?

Schlagworte

Generative Künstliche Intelligenz
Rezension

Zitationsvorschlag

Tully, Claus. 2024. „KI: Wer Organisiert Hier Was Und Wen?“. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie Und Praxis Der Medienbildung, Nr. Reviews - Rezensionen (September). https://doi.org/10.21240/mpaed/99/2024.09.15.X.

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Abstract

Rezension zu

Duschlbauer, Thomas. 2024. Affective and Artificial intelligence. The Organization in Times of Mannerist Discourse. Baden-Baden: Nomos Verlag. 34,00 €

https://doi.org/10.21240/mpaed/99/2024.09.15.X

Seit einiger Zeit wird Artificial Intelligence massiv gehypt. AI oder KI (Künstliche Intelligenz), wie es in deutsch heisst, steht für einen anstehenden grossen Umbruch der Gesellschaft Europas und Amerikas. Ein Mehrbedarf an Energie, an Computerchips und an Wasser (zur Kühlung) wird bereits prognostiziert. KI wird nicht nur den Energieverbrauch steuern, sondern auch erhöhen. Vor allem wird auf eine merkliche Steigerung der Produktivität gesetzt. Bei weniger Personaleinsatz soll eine Ausdehnung des Angebots an Waren und Diensten möglich sein. Ein qualitativer Sprung der Produktivität wird möglich. Hierfür werden grosse Umschichtungen im Beschäftigungswesen erwartet. Schon jetzt sind im Servicebereich grosse Personaleinsparungen erkennbar. Callcenter beispielsweise sind zu einer absoluten Ausnahme geworden. Wird heute versucht, einen Service abzurufen, dann antwortet immer häufiger ein Bot, der die Informationssuchenden im Sinne der jeweiligen Organisation anleitet. Aber auch die Organisationen selbst, die sich der KI bedienen wollen, stehen vor der Frage, wie diese neue Technologie mit der bislang entwickelten Organisationskultur in Übereinstimmung zu bringen ist. Das Buch mit dem Titel «Active and Artificial Intelligence» von Thomas Duschlbauer diskutiert folgende Themenfelder. (1) Introduction, (2) Mannerist Communication, (3) Affective and Artificial Intelligence, (4) Body memory and the performative organization, (5) Tension and integrity in organizations, (6) Transanthropological organizations, (7) Conclusion: from Maniera to Qualia.

Untersucht werden Schnittmengen zwischen Intelligenzkonzepten und Emotionen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung von Organisationen, denn diese sind nicht entweder-oder Mensch bzw. Maschine, sondern sowohl als auch. Generell geht es um die Differenzierung und den Umgang mit Komplexität, die an die AI delegiert werden kann.

«After all, it does have the potential to greatly assist us in managing complexity by automatic tasks, analysing vast amounts of data, and providing valuable insights. We were told that by delegating certain tasks to AI systems, we can free up our resources, and thereby enable ourselves to focus on more strategic aspects of our work».

Duschbauer 2024, 9

Komplexität ist, Duschlbauer folgend, wenig beliebt. Denn es macht mehr Mühe, in komplexen Zusammenhängen zu denken und zu agieren. Seinem Ansatz folgend leben wir in einer Ära des unerbittlichen technisch basierten Fortschritts (vgl. dazu auch Alfaraz und Tully 2024). Die Herausforderung besteht mithin darin, zu wissen und zu lernen, um innovativ mit diesen neuen Offerten umzugehen. Vermutlich imitiert KI lediglich. Deshalb sind viele Daten, auf die zugegriffen wird, unabdingbar, um plausible Muster zu finden. KI ist meines Erachtens also keine Nachahmung des Denkens. Kontrastierend zur Annahme, dass da gedacht würde, lädt der Autor dazu ein, im Sinne einer Selbstreflexion darüber nachzusinnen, wie wir die Lernprozesse von künstlicher Intelligenz steuern und kanalisieren können. Viele Mediennutzer:innen sollten momentan merken, dass KI derzeit dazu eingesetzt wird, um einen kundenaktiven Dialog zu automatisieren. Wo immer Klienten etwas zu erfahren suchen, werden sie vermehrt von Bots gelenkt. Ob mit oder ohne Erfolg, das hängt vermutlich von der Perspektive ab. Will sagen, auch wenn Klienten mehr Zeit für eine Informationssuche investieren müssen, so spart doch die Organisation Ressourcen. Dass wir es nun nicht mehr mit Personen, sondern mit Maschinen zu tun haben, bemerken wir spätestens dann, wenn uns als Informationssuchenden zunächst diverse Aufgaben zugewiesen werden. Explizit müssen Menschen neuerdings den Nachweis führen, keine Maschine zu sein. Das gab es früher, z.B. bei Callcentern, nicht.

Das vorliegende Buch hebt sich damit deutlich von den vielzähligen Artikeln in der Tagespresse ab. Dort geht es um ‹produktive› Anwendungsfälle von artificial Intelligence. Im Buch wird stattdessen über die Kontextualisierung von KI nachgedacht.

Technik verändert Organisationen und deren Wirken, dabei werden Organisationen selbst fortgesetzt modifiziert, sie werden rationalisiert und effektiviert, das Mittel der Wahl ist heute Künstliche Intelligenz. Organisationale Veränderungen indes bedürfen der Kommunikation. Schliesslich sind Menschen Akteure in Organisationen, die zu integrieren sind. Und Organisationen gestalten Bezüge. Organisationen müssen wandlungs- und anpassungsfähig sein, um kontinuierlich vorgegebene Aufgaben zu erfüllen, sei es in Produktion, im Handel, für die Werbung oder in der Politik. Artificial Intelligence als technisches Element gestaltet Abläufe. Dies genau ist die Qualität von KI, sie soll und kann nicht vorhergesehene Aufgaben und deren Bewältigung strukturieren. KI sucht vergleichbare Muster und entwickelt Lösungsansätze. KI-Technik erschliesst bislang ungenutzte Potentiale. Dies war schon in der Vergangenheit der Kern von Technik, was sich an der Nutzung der Maschine, der Automaten, am Einsatz von Computern und der Datennetze ablesen lässt. Die Maschine der Industriegesellschaft steuert in der ihr eigenen Weise und steht damit für die Differenz zur Informationsgesellschaft.

«The terms ‹information society› and ‹knowledge society› are often used synonymously today, reflecting the general transition from industrial societies to societies where information and knowledge play a central role. […] The information society is heavily influenced by technologies such as computers, network, and digital media, with an emphasis on an efficient transition and storage of information»

Duschlbauer 2024, 33

Die Informationsgesellschaft betont die Bedeutung von Wissen und Duschlbauer stellt auf die Bedeutung der Kontextualisierung von Wissen ab. Und er führt aus, dass es ganz und gar nicht auf die Menge verfügbarer Informationen ankommt, sondern auf deren Qualität (er stützt sich dabei auf die Arbeiten etwa von Alvin Toffler (1980), Peter Drucker (2006) und Daniel Bell (1973). Wissen ist ein Produkt von Herrschaft (Duschlbauer 2024, 35). Will sagen, Informationen, die nicht dienlich sind, nutzen wenig. Andererseits gestaltet die Benutzung von Technik und dies gilt umso mehr für Kommunikationstechnik, die fortgesetzt ökonomische soziale und politische Prozesse (ebd., 34) lenkt.

Eher beiläufig wird in Berichten zu angewandter KI deren Zwecksetzung diskutiert, sondern sie werden exekutiert:

«We therefore prefer to rely on the rational – or what we consider to be rational – in our planning and organization. Improvisation, free and informal interaction, and trial and error are therefore always suppressed by the sphere of the formal and subordinated to the efficiency of the digital point it is not for nothing that many employees in companies have the feeling such are increasingly becoming machines»

Duschlbauer 2024, 61

Deutlich wird das Spannungsverhältnis von Offenheit für die Veränderung, ohne Flexibilisierung ist sie nicht möglich, andererseits werden strikt Zwecksetzungen exekutiert, wozu kulturelle soziale und ökonomische Settings konfiguriert werden. Da über KI sehr viele Informationen und damit auch viele optionale Strategien verfügbar werden, entsteht ggf. der Eindruck, dass diese Veränderungen offen wären. Die Vielzahl von Informationen löst jedoch die anstehenden Probleme nicht, soziale Einbettung braucht die Anschlussfähigkeit zum sozialen Alltagshandeln. Ein Umstand der z.T. groteske Züge annimmt, was im Buch entlang von per künstlicher Intelligenz generierten Bildern veranschaulicht wird. KI ist in diesem Fall so programmiert, dass bei der künstlichen Generierung von Bildern ethische Vielfalt beachtet wird. Nur so wird nachvollziehbar, dass bspw. Soldaten in Nazi Uniformen vorgestellt werden, die unterschiedliche Ethnien berücksichtigen. Deshalb kreiert die KI also Bilder sowohl mit ‹color Person›, aber auch mit Menschen aus dem asiatischen Raum, denen allesamt Nazi Uniformen übergestülpt werden. Dass wirkt einerseits grotesk, zeigt aber auch unübersehbar, soziale Kontextualisierung ist kein technisch lösbares Anliegen. KI-förmig wird der Anspruch ethisch korrekt und lebensnah soziale Differenzierung einzubeziehen, so aufgelöst, dass die Information selbst ausgelöscht und verfälscht wird.

Die Vermehrung von Information stiftet keine sozialen Lösungen. Wer mag, erinnert sich da an die Knowledge Gap-Theorie. Auch wenn es mehr Informationen gibt, kommt es auf das soziale Setting der User an. Und was relevantes Wissen ist, hat mit dem Zugang zu Informationen wenig zu tun. Heute stehen wir an der Schwelle einer basalen gesellschaftlichen Veränderung. Die aufkommende Künstliche Intelligenz wird ähnlich der Technikentwicklung der letzten 150 Jahre den Arbeits- und Lebensalltag massiv verändern. Es geht um die Nutzung und Wirkung von Medientechnik. Der massgebliche Unterschied besteht darin, dass die KI Organisationen ausgestaltet und darüber zugleich das alltägliche Leben in weitestem Umfang formt. Bislang konnte über die Kontextualisierung von Technik nachgesonnen werden. Wie geht Aneignung, wann wird sie beherrschbar? Mit der KI sind wir an einem Punkt angekommen, von da an Technik nicht mehr aneignungsfähig ist, denn mit ihrer Benutzung verändert sie sich selbst und zwar fortgesetzt. U.a. diese Message ist dem vorliegenden Buch zu entnehmen. Es handelt sich um eine lesenswerte Analyse der KI, die sich die Schnittstelle von Technik und sozialem Handeln vornimmt. Es ist angenehm, dass KI analytisch angegangen wird. Die zahlreichen in der Tagepresse immer wieder vorgelegten Berichte zur Nützlichkeit der KI stellen immer nur vor, dass Künstliche Intelligenz die Rationalisierung durch Technik vorantreibt. Die Konstruktionsprinzipien jedoch bleiben da aussen vor. Diese zu beleuchten ist Gegenstand des Buches von Duschlbauer.

Literatur

Alfaraz, Claudio, und Claus J. Tully. 2024. "Mobilizing social transformation with technology. The shaping of social processes since the development of industrial society and beyond: innovation input and social processes". Innovation The European Journal of Social Science Research. https://doi.org/10.1080/13511610.2024.2346813.

Bell, Daniel. 1973. The coming of postindustrial Society: A Venture in Social Forecasting. New York: Basic Books.

Drucker, Peter. 2006. The effective Executive. New York: Harper Collins.

Duschlbauer, Thomas. 2024. Affective and Artificial intelligence. The Organization in Times of Mannerist Discourse. Baden-Baden: Nomos Verlag.

Toffler, Alvin. 1980. The Third Wave. New York: Morrow.